Rückblick Feierlichkeiten 50 Jahre Patenschaft im Jahr 2019 - Auszug aus dem Jahresbericht des Landkreises
Von der Patenschaft zur Partnerschaft
Eine kleine Geschichte der Freundschaft zwischen Prad, dem Landkreis Neu-Ulm und beider Menschen
Am Anfang stand eine Begegnung zweier Männer in Würzburg. 1968 trafen sich bei einer Veranstaltung des Bayerischen Gemeindetages zufällig der aus Prad stammende damalige Geschäftsführer des Südtiroler Gemeindeverbandes, Dr. Anton Karner, und der damalige Bürgermeister von Pfuhl, Karl Salzmann, und kamen miteinander ins Gespräch. Salzmann, der den Alt-Landkreis Neu-Ulm im Gemeindetag vertrat, erzählte Dr. Karner, dass Landrat Dr. Max Rauth und der Kreisausschuss schon lange den Wunsch hegten, direkt einer Not leidenden Südtiroler Gemeinde unter die Arme zu greifen, anstatt allgemeine Zuwendungen an deutsche Hilfsorganisationen zu geben, die das zu der Zeit wirtschaftlich darbende Südtirol unterstützten.
Dr. Karner schlug Prad vor, damals eine der ärmsten Gemeinden in ganz Südtirol. Sein Heimatort benötige dringend einen neuen Kindergarten, sei aber außerstande, einen solchen zu bauen und einzurichten, weil der Kommune dazu das Geld fehle. Prad zählte damals 2.800 Einwohner Es besaß eine Kleinindustrie, die Blusen erzeugte. Davon abgesehen war es landwirtschaftlich geprägt. Die kleinen Bergbauernhöfe warfen oft nicht genug Ertrag ab, um eine sechsköpfige oder noch größere Familie zu ernähren. Viele Männer mussten sich als Waldarbeiter Geld hinzuverdienen oder gingen zum Arbeiten in die benachbarte Schweiz. Der Tourismus, der sich später zum Haupterwerbszweig entwickeln sollte, steckte damals noch in seinen Kinderschuhen.
Der damalige Prader Bürgermeister Georg Stillebacher, heute 81 Jahre alt, erinnert sich: „Das Dorf hatte nur eine spärliche und vor allem schlechte Infrastruktur. Es gab keine öffentliche Beleuchtung, und nur zwei Straßen waren asphaltiert. Die Hauptstraße als Durchzugsstraße zum Stilfserjoch wurde vom Staat erhalten, und die St. Anton-Straße war wegen der Textilfabrik asphaltiert.“
Im Juli 1969 kam eine kleine Abordnung des Landkreises Neu-Ulm mit Landrat Dr. Rauth an der Spitze erstmals zu Besuch nach Prad und knüpfte erste Kontakte. Nur zwei Monate später, im September 1969, reiste der Landrat wieder nach Südtirol, diesmal in Begleitung der Mitglieder des Kreisausschusses. Zusammen beschlossen sie am 13. September bei einer außerordentlichen Sitzung in der Furkelhütte oberhalb von Prad, mit der Gemeinde Prad am Stilfserjoch ein Freund-schaftsverhältnis in Form einer „Patenschaft“ zu begründen.
Am 30. September 1969 folgte der Neu-Ulmer Kreistag einstimmig der Empfehlung des Kreisausschusses (Sitzung auf der Furkelhütte) und beschloss, die Patenschaft über die Südtiroler Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu übernehmen. Zur Begründung dieser Patenschaft kamen vom 22. bis 24. Mai 1970 der Prader Bürgermeister und Gemeinderat mit etwa 80 Bürgerinnen und Bürgern in den Landkreis Neu-Ulm. Am 21 Mai 1970 fand im Refektorium des Klosters Roggenburg eine fei¬erliche Kreistagssitzung statt, bei der Landrat Dr. Rauth Bürgermeister Stillebacher die Patenschaftsurkunde überreichte. Sie hat folgenden Wortlaut: “Der Landkreis Neu-Ulm wünscht aufrichtigen Herzens, in brüderlicher Weise und über alle Grenzen hinweg mitzubauen an einem geeinten Europa. Er bekundet eine besondere Zuneigung zum Südtiroler Volk und bietet der Gemein¬de Prad am Stilfserjoch die Freundeshand. Gott segne diese Freundschaft und die Menschen, die sie tragen“.
In diesem Sinne wurden die neu geknüpften Freundschaftsbande am Abend des 23. Mai, einem Samstag, im Rahmen der Sendener Heimatwoche im Festzelt mit 2000 Gästen bei einem Südtiroler Heimatabend gebührend gefeiert.
Vorrangiger Zweck der „Patenschaft“ war zunächst die Unterstützung des „Patenkindes“. Über die finanzielle und baufachliche Förderung des Kindergartenbaus hinaus, der 1976 einzugsfertig war, schickte der „Patenonkel“ im Spätherbst 1971 Hilfsgelder nach Prad, die auf dem eingerichteten Spendenkonto für den Wiederaufbau der abgebrannten Wallfahrtskirche St. Georg im Prader Ortsteil Agums eingegangen waren. Und im September 1981 konnte am Ufer des Suldenbachs die St. Nepomuk-Kapelle feierlich eingeweiht werden, deren Renovierung ebenfalls der Landkreis Neu-Ulm ermöglicht hatte.
Als steinernes Symbol der Partnerschaft gilt vor allem der Prader Kindergarten. Nicht nur, so sagte der damalige Landrat Erich Josef Geßner bei den Feierlichkeiten zum 40- jährigen Partnerschaftsjubiläum in Prad, „weil sein Bau die ersten Jahre der Verbindung mit dem Landkreis Neu-Ulm bestimmte, sondern auch, weil die Kinder, die darin betreut wurden und betreut werden, vielleicht schon Gegenwart, aber auf jeden Fall Zukunft unseres brüder- und schwesterlichen Bundes sind“. 1976 eingeweiht, war der Prader Kindergarten 2009 in die Jahre gekommen und bedurfte einer Ertüchtigung. Zur Sanierung und Modernisierung steuerte der Landkreis Neu-Ulm als Ge¬burtstagsgeschenk eine Finanzspritze von 10.000 Euro bei. Landrat Erich Josef Geßner überreichte den Scheck Bürgermeister Dr. Pinggera.
Georg Stillebacher weist aber auch auf eine weniger bekannte Hilfe aus dem Landkreis Neu-Ulm hin. „Sehr viele Landwirte haben davon profitiert, dass sie preisgünstige gebrauchte Landmaschinen erhalten haben. Vom Heuladewagen über Güllefässer und Pflüge — alles konnte man in dieser Zeit in Prad gebrauchen. Ich war und bin selbst Bauer und habe die Hilfe aus dem Landkreis Neu-Ulm ebenfalls genossen.“ Vor allem der inzwischen verstorbene Burlafinger Richard Frank, ehemals Kommandant der dortigen Freiwilligen Feuerwehr, habe sich dabei sehr ausgezeichnet, erinnert Stillebacher.
Heute, 50 Jahre nach jenem wegweisenden Beschluss auf der Furkelhütte, trifft der Begriff „Patenschaft“ den Charakter der Verbindungen, die Prad und der Landkreis Neu-Ulm unterhalten, längst nicht mehr. Die Ursprungsintention der finanziellen Unterstützung hat sich erledigt, weil Prad, gelegen im paradiesischen Nationalpark Stilfserjoch mit dem majestätischen Ortler als höchster Erhebung, sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem florierenden Urlaubsort entwickelt hat.
Im Laufe der vergangenen 50 Jahre haben sich jedoch viele persönliche Freundschaften zwischen den Menschen von hie und da gebildet. Zahlreiche Begegnungen der Menschen – längst nicht mehr nur der Kommunalpolitiker: sondern auch und besonders von Jugend-, Sport- oder Kulturgruppen, Feuerwehren und anderen Vereinen – prägten und prägen die Partnerschaft. Georg Stillebacher hat dabei viel Schönes erlebt. In Erinnerung geblieben sind ihm vor allem die bunten Abende und Veranstaltungen in der alten Praller Feuerwehrhalle, wo – so stellt er lachend heraus – „es einmal sogar an sechs aufeinanderfolgende Wochenenden Treffen mit den Neu-Ulmern gab“.
„Die zwischenmenschlichen Beziehungen sollen bestehen bleiben, wenn nicht ausgebaut werden“, wünscht sich Georg Stillebacher für die Zukunft der Partnerschaft Gerade in der heutigen Zeit, in der sich Europa einer Zerreißprobe ausgesetzt sieht, sei das wichtiger denn je.
Dorfbeschreibung Marktgemeinde Prad am Stilfserjoch
„Aus Patenschaft wurde Freundschaft“
40 Jahre Freundschaft mit dem Landkreis Neu-Ulm
Prad, 19.09.2009. Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalter gab seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Verbundenheit zwischen Prad und dem Landkreis Neu-Ulm nicht nur seit 40 Jahren währt, sondern sich mehr und mehr gefestigt hat. „Eine Gemeinschaft, die so lange bestehen bleibt und sich dabei sogar noch in richtiger Verbundenheit und lebendigem Austausch weiterentwickelt“, sagte Landrat Geßner, eine solche Gemeinschaft beweise, „dass sie tragfähig ist“. „Aus Patenschaft ist Partnerschaft und aus Partnerschaft Freundschaft geworden“, fand Alt-Landrat Franz Josef Schick dafür einen einprägsamen Satz. In seinem Grußwort schwärmte er von den menschlichen Begegnungen und den vielfältigen kulturellen Qualitäten, die der „kleine Ort“ Prad mit seinen rund 3300 Einwohnern hervorgebracht habe und weiter hervorbringe. Wie zum Beweis dafür umrahmte die Musikkapelle Prad den offiziellen Festakt. Am Abend spielte die Stadtkapelle Vöhringen aus Bayern mit Einlagen der Volkstanzgruppe und der Schuhplattler Prad.
Langjähriger Weggefährte dieser einzigartigen Partnerschaft, Alt-Bürgermeister Georg Stillebacher, erinnerte Dankbarkeit an die Gründungsväter. „Freundschaft über die Grenzen hinaus“ sei ihm und seinen damals ebenfalls noch sehr jungen Mitstreitern im Gemeinderat sehr wichtig gewesen. Laut Landeshauptmann Durnwalder ist dies auch immer noch der Fall, denn gerade die Südtiroler als eine deutschsprachige Minderheit in Italien, bedürften der „Nabelschnur zum gemeinsamen Kultur- und Sprachraum“, um ihre Identität nicht zu verlieren. Wie Gemeindereferent Josef Gritsch in seinem Rückblick ausführte, stand am Anfang eine Begegnung zweier Männer bei einer Veranstaltung des Bayerischen Gemeindetages in Würzburg. Es war Anton Karner, der dem damaligen Bürgermeister von Pfuhl, Karl Salzmann, seinen Heimatort vorschlug. Als dieser ihm davon berichtete, dass Neu-Ulms Landrat Max Rauth wünschte, mit Kreismitteln eine bedürftige Gemeinde aus dem von der italienischen Zentralregierung unterdrückten Südtirol zu unterstützen, flossen nach der am 23. Mai 1970 auf der Furkelhütte besiegelten Patenschaft in den Anfangsjahren beträchtliche finanzielle Hilfsgelder aus dem Landkreis Neu-Ulm.
„Gott segne die Freundschaft und die Menschen, die sie tragen“ war das aussagekräftige Schlusswort von Josef Gritsch. Dieser Ausspruch wurde damals übrigens auch bei der damaligen Gründung die Partnerschaft in Anwesenheit des damaligen Bürgermeisters Georg Stillebacher und der Gemeinderäte genannt. Bürgermeister Hubert Pinggera hob vor allem den gemeindlichen Kindergarten hervor, der damals ohne die Hilfe aus Deutschland nicht hätte gebaut werden können. 1976 eingeweiht, bedarf das Gebäude mittlerweile einer Renovierung. Dafür überreichte Landrat Geßner Bürgermeister Pinggera einen Scheck des Landkreises von 10.000 Euro. Der Kindergarten sei auch deshalb eine gelungene Einrichtung, „weil die Kinder die Zukunft unseres Bundes sind“, so Geßner. Die Gemeinde Prad revanchierte sich mit einem Bergbild des ortsansässigen Heimatmalers Alois Ziernheld als Gegengeschenk.
Im vormittäglichen Rahmenprogramm folgten die deutschen Gäste dem Obmann des E-Werkes Prad Georg Wunderer. Die Genossenschaft, die von 1055 einheimischen Mitgliedern getragen wird, ermöglicht der Marktgemeinde bekanntlich eine autarke, klimaschonende und umweltfreundliche Energieerzeugung und –versorgung. Was die Nutzung nachhaltiger Ressourcen für die Strom- und Wärmeversorgung angeht, bietet sich also nach 40 Jahren eine neue Patenschaft an, diesmal jedoch in umgekehrten Rollen, mit dem Landkreis Neu-Ulm als hilfsbedürftigem Patenkind und Prad als helfendem Paten.
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